Über Formeln

Sie lernen in der Schulzeit sehr viele Formeln kennen. Dabei erklärt Ihnen Ihr Lehrer einen Zusammenhang und am Ende gibt es eine Formel für Sie. Ihr Lehrer ist dann glücklich. Viele Youtube-Videos zu technischen Themen arbeiten genauso: Auf eine sehr schwache Erklärung eines Zusammenhangs folgt die Formel, so als ob diese das Ziel einer Erklärung wäre.
Eine Formel ist für sich alleine wertlos. Erst und wenn man sie in einem technischen Zusammenhang wirklich braucht macht sie Sinn. Formeln sind wichtig, um die Welt um uns herum zu beschreiben. Heute sind aber alle Zusammenhänge, zu denen Sie in Ihrem Studium rechnen, bereits mit Formeln beschrieben. Die Mathematik ist viel weiter als Sie das für Ihre Formeln benötigen. Sie können jede Formel jederzeit nachschlagen. Warum also sind Formeln das Ziel am Ende einer Erklärung?
Formeln definieren einen Zusammenhang mit Hilfe der Mathematik in Form einer Gleichung. Aus einer Gleichung können wir viel über den Zusammenhang aussagen. Zunächst beinhaltet sie ein Gleichheitszeichen, also sind beide Seiten der Gleichung gleich groß. Wenn wir auf der linken Seite einen größeren Wert benötigen, müssen wir auf der rechten Seite ebenfalls einen größeren Wert einsetzen. Es gilt z. B. 2=2, das ist eine wahre Aussage. Erhöhen wir die linke Seite auf 3, dann gibt es nur eine wahre Aussage dazu: 3=3. Auch die rechte Seite muss um den gleichen Wert erhöht werden.
Liegt eine Formel in der Form y= a b vor, kann y erhöht werden, wenn a größer wird oder wenn b kleiner wird. Ob eine Größe im Zähler oder Nenner steht ist wichtig, wenn nicht nur etwas ausgerechnet werden soll, sondern auch dann, wenn etwas verändert werden soll.

Beispiel: Für ein Wasserkraftwerk als Pumpspeicherwerk wird Wasser nachts einen Bergsee heraufgepumpt. Am Tag fließt das Wasser durch die Turbinen wieder in den See im Tal. Am Tag wird eine Energie von W=1MWh benötigt. Sie sollen diese Anlage planen. Wie gehen Sie vor?
Sie stellen schnell fest, dass Sie zum Auslegen Formeln brauchen. Also suchen Sie nach Formeln für die Energie. Sie finden viele Formeln:

  • Thermische Energie WTHE=…
  • Kinetische Energie WKIN=…
  • Potentielle Energie WPOT=…
  • Elektrische Energie WEL=…
  • Chemische Energie WCH=…
  • und vieles mehr …
Zu allen Energieformen finden Sie Artikel und Formeln. Es gibt offenbar nicht die eine Formel, mit der Energie berechnet werden kann. Jede Formel ist immer nur für eine bestimmte Art der Energie, dann noch nur für einen bestimmten Zusammenhang oder Kontext gültig. Oft werden Formeln für eine bestimmte Geometrie in der Anwendung beschrieben, und schon ein etwas anderer Aufbau bekommt eine andere Formel. Die Kunst liegt also nicht im Berechnen eines Ergebnisses mit einer Formel, das können Apps bald auch alleine ohne Sie. Die Herausforderung liegt im Finden der richtigen Formel und der richtigen Anwendung.
Die Dichte ρ ist z. B. als Quotient aus Masse m und Volumen V definiert. Es gilt ρ= m V . Sie sollen die Dichte einer unbekannten Substanz bestimmen wollen, die in einem Eimer vorliegt und diesen vollständig ausfüllt. Dafür bestimmen Sie nach der Formel das Gewicht der Masse m (durch Wiegen) und das Volumen des Eimers. Für das Volumen nehmen Sie eine geometrieabhängige Formel, nämlich die eines Zylinders. Liegt die Substanz in einer Kiste vor, verwenden Sie für das Volumen die Formel für einen Quader. Sobald Geometrie in einer Formel vorkommt, müssen Sie diese an die Form in der Anwendung anpassen.
Betrachten wir für das Beispiel die potentielle Energie. Sie beschreibt, eine Energie, die von der Gravitationskraft, also der Erdanziehungskraft, bestimmt wird. Es gilt für mechanische Energieformen, bei denen eine Kraft entlang eines Wegs wirkt, W=∫F ds.
Anschaulich betrachtet müssen wir Energie investieren, um einen Gegenstand hochzuheben. Es wird Energie z. B. für eine eigenständige Bewegung frei, wenn der Gegenstand herunterfällt. Hier wirkt also eine Kraft entlang eines Wegs, und der Weg ist die Höhenänderung. Es gilt WPOT=∫FG dh.
Die Gravitationskraft können wir mit der Formel FG=m∙g beschreiben. Diese ist im Kontext gültig, dass Massen in einem Gravitationsfeld entlang der Feldlinien des Felds bewegt werden (siehe Kapitel elektrisches Feld). Die Feldstärke g hat auf der Erdoberfläche den Wert g=9,81 m s2 ≈10 m s2 .
Auf dem Mond ist der Wert von g kleiner, auf der Sonne größer, er hängt von der Planetenmasse ab. Entfernen wir uns von der Erde, sinkt der Wert von g ebenfalls, er ist abhängig vom Abstand zum Zentrum des Planeten. Man muss im Zweifel viel Nachlesen, um diese vermeintlich einfache Formel richtig anzuwenden.
Wird die Gravitatioskraft eingesetzt, gilt WPOT=∫(m∙g) dh. Die Parameter m und g sind unabhängig von der Höhe h. Deshalb kann das Integral vereinfacht werden zu WPOT= m∙g∙h.
Zurück zu Ihrer Aufgabe. Wenn Sie die Höhe des Wassers erhöhen, indem Sie es vom Tal auf einen Berg pumpen, dann steigt die potentielle Energie des Wassers an. Wenn Sie 1MWh an Energie (auf der linken Seite der Gleichung) auf diese Weise bereitstellen sollen, muss das Produkt aus m∙g∙h (auf der rechten Seite der Gleichung) ebenfalls 1MWh betragen. Die Einheit des Produkts als m∙g∙h ist – wie die Zahl – die gleiche, wie auf der linken Seite der Gleichung. Welche Parameter können Sie ändern? Der Parameter g ändert sich zwischen Berg und Tal nur so wenig, dass dies keine Rolle spielt, wir nehmen sie als konstant an. Sie ändert sich erst bei astronomisch relevanten Höhenänderungen nennenswert. Sie können die Masse m ändern, indem Sie viel oder wenig Wasser nutzen. Sie können das Wasser um viel oder wenig Höhe h ändern.
Das Produkt als m∙g∙h muss W=1MWh=1000.000Wh=3600.000.000Ws=3,6∙109Ws=3,6∙109J betragen. Sie können z. B. mit g≈10 m s2 die Masse m=100.000kg und die Höhe h=3600m bewegen. Es gilt dann m∙g∙h=10 m s2 ∙100.000kg∙1000m=10∙100.000∙3600 J=3600.000.000 J .
Oder Sie bewegen m=1.000.000kg um h=100m hoch. Dies ist eine konstruierte Aufgabe, und Sie haben wahrscheinlich nur eine geringe Motivation, sie nachzuvollziehen. Klar, denn Sie stehen ja nicht vor einem realen Problem, bei dem Sie die Lösung finden müssen.
In der Praxis lösen Sie keine sterilen Klausuraufgaben, in denen aus dem Unterricht bereits klar ist, welche Formeln Sie überhaupt zur Verfügung haben. Und Sie bekommen nicht die Schulnote 3 minus, wenn Sie den Bergsee halb so groß ausgelegt haben wie er sein muss, weil Sie sich verrechnet haben. Wie müssen Sie im Studium Formeln und Zusammenhänge lernen, damit Sie mit diesem Wissen später reale Probleme lösen können?
  • 1. Sie dürfen in der Klausur einen Formelzettel nutzen. Vermerken Sie darauf jeweils zu den Formeln den Kontext, in denen sie gültig sind, damit Sie in der Klausur die richtige Formel nutzen.
  • 2. Wenn Sie verstehen, was passiert, wenn die Parameter der Formel sich ändern, dann können Sie einschätzen, ob Sie die richtige Formel für das Problem haben. Wenn Sie für das Auslegen des Pumpspeicherwerks Energie-Formeln mit Temperatur, Ladung oder Strahlungsintensität als Parameter ermitteln, dann beschreiben diese offensichtlich nicht ihr Problem. Recherchieren Sie mögliche gültige Formeln, bekommen Sie ein Gespür für die Parameter der Formel und deren Wirkung in der Formel und stellen Sie damit sicher, dass Sie die richtige Formel erwischt haben.
  • 3. Prüfen Sie, für welche Geometrie die Formel gilt. Möglicherweise gibt es eine spezielle Formel für Ihre Geometrie.
  • 4. Setzen Sie niemals ohne Nachzudenken Zahlen in eine Formel ein und erklären Sie dann das Ergebnis für gültig.