Dozenten

Wie kann Hochschullehre richtig gut gelingen? Wie können wir Veranstaltungen so gestalten, dass die Studierenden maximal viel langfristig lernen? Dazu gebe ich hier ein paar praktische Anregungen. Ich betrachte das Thema nur aus der Sicht eines technischen Studienfachs mit den klassischen Elementen Vorlesung (90 Minuten), Kleingruppenübung (45 Minuten) und Laborpraktikum.

Was hilft beim langfristigen Lernen?

Folgende Punkte sollte unsere Lehre enthalten:

1. Aktives Lernen der Studierenden statt passiver Berieselung

2. Wiederholung vorheriger Inhalte

3. Studierende erklären sich Inhalte gegenseitig

4. Praktische Anwendung

Wir brauchen also Lehre, die diese Punkte einfordert oder zumindest ermöglicht.

Reversed / Flipped Classroom

Lassen Sie die Studierenden zu Hause die theoretischen Inhalte lernen. Zu Hause arbeitet jeder in seinem Tempo. Das Wissen kann später jederzeit wiederholt werden. Dafür stellen Sie die Inhalte zur Verfügung.

Viele Kollegen stellen Videos bereit. Das ist oft eine gefilmte Vorlesung. Mein Problem damit liegt im passiven Zuhören. Wenn wir Videos bereitstellen, dann nur kurze Videos mit nur einem Thema. Texte mit Bildern sind meiner Meinung nach besser geeignet, weil das Erschließen der Texte eine Leistung des Studierenden ist, der sich nicht nur berieseln lässt. Eine gute Kombination beider Medien ist ideal auch aufgrund der unterschiedlichen Lerntypen.

Externe Inhalte zu nutzen ist schwierig, weil sie vom Umfang und Niveau her selten zufällig passen. Die Bereitstellung der Inhalte macht natürlich sehr viel Arbeit. Das ist halt unser Anteil an guter Lehre. Der größte Vorteil des Konzepts lautet: Damit werden die wertvollen Präsenzveranstaltungen frei für andere Lernformen.

Die Vorbereitungszeit der Studierenden darf etwa so lange dauern wie die Vorlesung selbst. Lesen Sie dazu Ihr Modulhandbuch. Wir nutzen die Selbstlernzeit bereits während des Semesters, nicht erst in der Prüfungsphase. Es senkt die Durchfallquoten, wenn die Studierenden bereits im Semester Klausurvorbereitung betreiben.

Vorlesung

In der Vorlesung werden die Inhalte nur noch besprochen, nicht mehr „vorgelesen“. Sie ermöglichen Fragen zum Thema und führen vielleicht ein Experiment vor. Die Studierenden rechnen in der Vorlesung Aufgaben. Dabei ergeben sich Rückfragen und die Studierenden erleben direkt, ob Sie das Wissen in Aufgaben anwenden können. Sie können auf die Fragen zu den Aufgaben eingehen, die ja üblicherweise für alle Anwesenden interessant sind. Fragen zu beantworten klappt auch super in großen Gruppen.

Die erst Übungsaufgabe wiederholt immer ein Thema aus einer vorherigen Inhaltseinheit im Kontext des neuen Stoffs. Es wird z. B. ein Spannungsteiler genutzt, um die Ausgangsspannung einer realen Quelle zu berechnen, die mit einem Widerstand belastet wird. Die weiteren Übungsaufgaben weisen unterschiedliche Schwierigkeitsgrade auf:

1. Abfrage von Wissen und Rechnen mit vorgegebenen Formeln

2. Rechnen mit mehreren Formeln, die ineinander eingesetzt werden müssen oder z. B. mit komplexerer Geometrie

3. Interpretation und Beurteilung von Ergebnissen: Zielerreichung

4. Synthese und Modifikation: Lösungen selbst erstellen oder modifizieren

Die Übungsaufgaben sind idealerweise so gestellt, dass man sie nur mit Verständnis lösen kann. Reine Reproduktion ist auch nett, sollte aber eher selten vorkommen. Erwecken Sie von vorne herein nicht den Eindruck, dass man damit bei Ihnen durchkommt.

Eine Vorlesungsstunde besteht aus etwa 45 Minuten Erklärung / Vorführung von Experimenten und 45 Minuten rechnen von Aufgaben. Damit haben wir die Übungsaufgaben als Klausurvorbereitung bereits im Sack.

Kleingruppenübung

Durch das Rechnen während der Vorlesungszeit werden die Kleingruppen frei. Das ist die wertvollste Zeit, die bisher für die Klausurvorbereitung verschwendet wurde. Wir wollen ja genau nicht, dass Studierende so lernen, wie sie das in Rechenübungen tun: Auswendig lernen von Schemata, die in der Klausur wiedergegeben werden.

Stattdessen können wir mit den Studierenden ins Labor gehen. Die Gruppengröße erlaubt das. Die 45 Minuten genügen üblicherweise für einen oder zwei kleine Versuche. Die Inhalte der Übungen werden praktisch im Labor erlebt. Wenn dafür zuvor Berechnungen notwendig sind, so werden diese in den Rechenaufgaben in der Vorlesung vorbereitet.

Ziel ist hier erneut nicht das Nachvollziehen, sondern das Lösen von Problemen. Lassen Sie mehr als einen Lösungsweg zu. Es sollte möglich sein, nach einem vorbereiteten Weg das Problem zu lösen. Sie können diesen Default-Lösungsweg im Theorieteil und in den Übungen vorbereiten. Motivieren Sie die guten Studierenden zu eigenen Lösungswegen.

Praktikum

Das Praktikum kann so bleiben, wie es bisher war. Sie haben mit den Kleingruppenübungen nur viel mehr Zeit für das Praktikum. Also kann der Umfang etwa verdoppelt werden.

Vision einer guten Prüfung

Gelernt wird was geprüft wird. Praktisches Anwenden von Wissen führt zu maximal gutem Lernerfolg. Deshalb sollten wir im im Labor prüfen. Die Teilnahme an Laborversuchen wird damit zur Prüfungsvorbereitung. Das erhöht die Motivation der Studierenden im Labor. Wir brauchen dann keine Antestate mehr, denn wer die Laborzeit nicht für sich optimal nutzt, der bekommt in der Prüfung Probleme.

Die Arbeitsplätze sind so voneinander getrennt, dass Abschreiben erschwert wird. Als Sichtschutz können mobile Trennwende genutzt werden. Es werden Aufgaben gestellt, die denen in den praktischen Labor-Übungen oder im Praktikum ähneln. Evtl. steht ein PC am Arbeitsplatz, wenn z. B. Matlab für eine Lösung benötigt wird. Wir können in Embedded Systemes Arduinos mit elektronischen Schaltungen am Steckbrett kombinieren.

Die Prüfungen erfolgen in Kleingruppen nacheinander. Das ist mehr Betreuungsaufwand als bei einer Prüfung, die für alle gleichzeitig stattfindet. Wir können uns von Laborassistenten unterstützen lassen. Klar geht das nur für maximal 4-5 Kleingruppen nacheinander. Immer zwei aufeinander folgende Kleingruppen bekommen die gleichen Aufgaben. Zwei Varianten mit unterschiedlichen Zahlenwerten machen Sinn, um das Abschreiben zu erschweren.

Um an die Lösungen zu gelangen, müssen die Studierenden zuerst rechnen und dann praktische Aufgaben lösen. Die Lösung wird schriftlich festgehalten. Es werden nur die schriftliche Lösungen bewertet. Messergebnisse aus den Versuchen werden dafür – wie bei einem Bericht – schriftlich festgehalten. Das Verfahren ist nach ersten Einschätzungen prüfungsrechtlich zulässig. Leider konnte ich es noch nicht testen.

Taxonomie-Stufen

Wenn wir wollen, dass Studierende Probleme zu lösen lernen, dann sollten wir ihnen das auch zutrauen und zumuten. Probleme lösen kann man nicht plötzlich im dritten Semester und in den ersten beiden ist man dazu unfähig. Das können Studierende auch vorher schon. Und diejenigen, die es vorher nicht können, können es auch zumeist später nicht. Die Entwicklung von Studierenden während des Studiums geht meiner Meinung nach nicht mit den Taxonomie-Stufen einher.

Deshalb möchte ich Sie bitten zu wagen, die Vorgabe zu ignorieren, auf höhere Taxonomie-Stufen in Anfängervorlesungen zu verzichten. Den guten Studierenden tun Sie damit einen großen Gefallen, sie werden nämlich endlich mal herausgefordert. Den schwachen Studierenden wird schnell klar gemacht, wie Arbeiten und Lernen erfolgen muss, um erfolgreich zu sein. Wir unterbinden damit von vorne herein das reine Auswendig-Lernen mit geringem Verständnis.

Es ist mir klar, dass wir damit viele Studienanfänger verlieren. Das ist bitter, aber über das ganze Studium hinweg sowieso unvermeidbar. Je früher dies erfolgt, umso besser. Von den schwachen 30-40% eines Jahrgangs lasse ich mir nicht mein didaktisches Konzept vorschreiben. Das richtet sich an die ca. 60-70% leistungsstarken Studierenden, die das Studium auch erfolgreich abschließen werden und die später mit dem Wissen auch wirklich arbeiten werden.