Didaktisches Konzept

Sie kennen aus der Schule das frustrierende Erlebnis, dass Sie viel Zeit investieren um z. B. eine Mathe-Klausur zum Thema Bruchrechnung zu bestehen, und dass Sie bereits ein halbes Jahr später feststellen müssen, dass Sie vieles aus der Bruchrechnung nicht (mehr) anwenden können. Spätestens im Studium, wenn Mathematik in die Anwendung geht, stellen viele Studierende fest, wie schlecht die Schule sie dafür vorbereitet hat. Lernen ist zwar immer zeitintensiv, es führt aber nicht immer zu langfristig verfestigtem Wissen. Dies hat viel mit der Art zu lernen zu tun, es geht also auch anders.

Grad an Verständnis

Wenn jemand etwas in Form eines Vortrags erzählt und ich dem Erzähler folgen kann, dann signalisiert mir mein Gehirn, dass ich den Inhalt vollständig verstanden habe. Dies ist aber oft nur teilweise wahr, Ihr Gehirn macht Ihnen manchmal etwas vor. Es gibt unterschiedliche Grade an Verständnis: Einem Erzähler oder einem Text folgen zu können ist schon mal nicht schlecht, jemand anderem die gerade gelernten Zusammenhänge erklären zu können ist viel besser, das Wissen praktisch anwenden zu können ist für einen Ingenieur immer das Ziel, es ist aber auch der höchste, zeitaufwändigste und unbequemste Grad an Verständnis. Sie können überprüfen, zu welchem Grad Sie etwas verstanden haben, indem Sie entweder

  • jemanden den Stoff erklären oder
  • versuchen, das Wissen selbst anzuwenden
Optimieren Sie im Studium Ihren langfristigen Lernerfolg dadurch, dass Sie möglichst viel selbst anwenden und sich selbst erarbeiten.

Vor die Wand laufen

Wenn Sie Probleme beim Verständnis feststellen, werden Sie unmittelbar an einen Punkt gebracht, an dem Sie nicht mehr weiterkommen. Sie stehen von einer Wand und kommen nicht drüber. Sie können den Mangel an Verständnis ignorieren und um die Wand herumlaufen (z. B. in der Lösung nachschauen), dann lernen Sie nichts. Sie können sich von jemand anderem über die Wand helfen lassen. Das ist klug. Bedenken Sie nur, dass Sie anschließend wieder überprüfen sollten, ob Sie es jetzt wirklich verstanden haben, denn gerade wenn Ihnen jemand etwas erklärt ist Ihr Gehirn schnell dazu verführt, Ihnen tiefes Verständnis zu signalisieren, wo eigentlich nur oberflächliches Nachvollziehen stattgefunden hat.
Am meisten lernen Sie, wenn Sie es selbst schaffen, das Problem zu lösen, indem Sie recherchieren, nachdenken, selbst rechnen, diskutieren usw. Das ist unbequem.
Lernen geschieht außerhalb der Komfortzone, also werde ich Sie dort herausholen. Wenn Sie überfordert sind lernen Sie auch nichts. Bitte weisen Sie mich in den Verstanstaltungen darauf hin, wenn ich Sie völlig abgehängt habe.

Das Lösen realer Probleme

Um als Ingenieur reale Probleme lösen zu können müssen Sie die Theorie zu den Problemen verstanden haben, denn es gibt kaum reale Probleme, die nach Schema berechenbar sind. Ziel dieses Kurses ist deshalb, dass Sie in die Lage versetzt werden, reale Probleme mit Mitteln der Elektrotechnik selbst zu lösen. Im Matheunterricht geht es oft darum, bestehende Lösungen nachzuvollziehen. Sie erfinden den Satz des Pythagoras nicht neu, sie lernen ihn anzuwenden. Das macht Sinn, denn Sie benötigen dieses Wissen als Basis. Zum eigenständigen Lösen von Problemen gehört es, das bereits erlernte Wissen so zu kombinieren, dass Sie eine bisher unbekannte Lösung erarbeiten. Das ist für mich das zentrale „warum“ dieses Kurses: Ich möchte, dass Sie den Stoff tief und langfristig vestehen, so dass Sie ihn später auch anwenden können.

Simulation und Aufbau realer Schaltungen

Eine Lösung nicht nur auszurechnen, sondern sie als elektrische Schaltung aufzubauen und am realen Problem zu verifizieren ist aufwändig. Sie benötigen dafür die Ausrüstung in Form von elektrischen Bauteilen, Messgeräten und Quellen. Jede Hochschule, die Elektrotechnik lehrt, sollte auch über die Ausrüstung verfügen und diese für Studierende bereitstellen. Der Lernerfolg ist maximal, wenn Sie Ihre Lösung als Schaltung aufbauen und anschließend testen. Eine deutlich weniger aufwändige Alternative ist die Simulation. Hier bekommen Sie ähnlich gute Lernergebnisse wie beim Aufbau einer realen Schaltung heraus. Eine Simulation ist für Ihren Lernerfolg viel besser als nur eine Berechnung. Sie ist der Mittelweg aus gutem Lernerfolg und geringen eingesetzten Mitteln.

Einbindung in die Hochschulveranstaltungen

Sie werden sich diese Texte außerhalb der Veranstaltungen selbstständig durchlesen. Sie bekommen für jede Woche im Semester die Kapitel zum Lesen vorgegeben. Formulieren Sie konkrete Fragen dazu, die wir in der Vorlesung besprechen. Schreiben Sie Formeln (und deren kontextabhängige Gültigkeit) bereits auf Ihren Formelzettel, damit Sie diesen in den Veranstaltungen bereits nutzen können. In den Vorlesungen werden ich Beispielaufgaben zu den Themen vorrechnen, und Sie rechnen anschließend selbstständig ähnliche Aufgaben. Da es nicht hilft, wenn Sie ein Schema zum Lösen immer gleicher Aufgaben erlernen, konfrontiere ich Sie in der Vorlesung bewusst auch mal mit schwierigen Aufgaben, für die Sie über das gelesene hinaus denken müssen. Das Konzept, in dem Sie sich zu Hause Stoff aneignen und dieses in der Vorlesung angewendet wird, nennt sich „inverted classroom“.
Da Sie in der Vorlesung bereits Aufgaben rechnen, wird Zeit in den Kleingruppen-Übungen dafür frei, dass Sie mehr Schaltungen simulieren und sogar selbst aufbauen und vermessen. Dabei lernen Sie viel mehr und nachhaltiger als beim Lösen von Rechenaufgaben nach Schema. In einigen Fächern ist ein Praktikum im Stundenplan vorgesehen, dort werden Sie nur Schaltungen aufbauen und vermessen.
Wenn Sie nur den Text dieses Kurses lesen, wird ein sehr großer Anteil des Stoffs nur kurzfristig hängen bleiben. Wenn Sie auch die Aufgaben dazu lösen, wird ein größerer Anteil des Stoffs langfristig hängen bleiben und Sie bekommen unmittelbar ein Feedback darüber, wie tief Sie den Stoff tatsächlich verstanden haben. Erst wenn Sie eigenständig Schaltungen aufbauen und vermessen oder diese simulieren werden Sie ein tiefes Verständnis für die Zusammenhänge erleben.
Sie können zu Hause mit einfachen Mitteln selbst Elektrotechnik betreiben. Der geringste Aufwand liegt in der Simulation, die läuft im Browser auf nahezu jedem Endgerät. Ich nutze dafür das Programm Multisim von der Firma National Instruments. Der Aufwand für Aufbau und Vermessung realer Schaltungen ist ungleich höher, hier empfehle ich die Nutzung der Räume und der Ausrüstung der Hochschule.

Zeitvorgaben und Zeitmanagement

Im Modulhandbuch sind für Grundlagen der Elektrotechnik üblicherweise zwei Zeiten definiert: Die Präsenzzeit (z. B. 45 Stunden) und die Selbststudienzeit (z. B. 75 Stunden).
Die Selbststudienzeit wird oft nur für das Lernen vor der Prüfung genutzt. Vor der Prüfung haben Sie aber nur sehr wenige Tage, die für die Vorbereitung auf diese umfangreiche Fach i. A. nicht ausreichen. Der Hauptgrund für eine nicht bestandene Prüfung liegt nach meiner Erfahrung darin, dass zu wenig Zeit in die Prüfungsvorbereitung investiert worden ist. Wenn Sie sich während des Semesters nur berieseln lassen und nicht aktiv den Stoff bearbeiten, müssen Sie in der Klausurvorbereitungszeit sehr viel nacharbeiten. Diese Strategie funktioniert nur bei sehr guten Studierenden. Sie müssen aufgrund der geringen Vorbereitungszeit in der Prüfungszeit bereits im Semester Zeit so investieren, dass sie effektiv auf die Prüfung vorbereitet. Arbeiten Sie Inhalte nicht direkt nach, machen Sie bildlich gesprochen Schulden bei Ihrer Prüfungsvorbereitungszeit.
Deshalb:
1. Investieren Sie im Semester die Selbststudienzeit, um die Übungsaufgaben zu Hause zu rechnen. Machen Sie dies zunächst alleine, um ehrlich zu sehen wo Sie stehen, und arbeiten Sie dann gerne auch im Team. Wenn Sie eine Übungen zu Hause ohne Hilfe rechnen konnten, brauchen Sie nur noch sehr wenig Zeit für diesen Aufgabentyp in der Klausurvorbereitungsphase.
2. Während der Vorlesung haben Sie nicht genügend Zeit, um die Texte zu lesen und die Aufgaben zu bearbeiten. Deshalb lesen Sie bitte die Texte vor der Vorlesung. Wenn Sie die Texte gelesen haben, Ihre Fragen beantwortet sind und Sie die Aufgaben in der Vorlesung lösen konnten, dann haben Sie den Stoff so gut (und hoffentlich langfristig) verstanden, dass Sie in der Klausurvorbereitungsphase weniger Zeit benötigen.